In 25 Kapiteln untersuchen darin Sportwissenschaftler, Pädagogen, Sportmediziner und Sportsoziologen die Ursachen und Auswirkungen der aktuell zu beobachteten Umbruchsituation im Kinder- und Jugendsport und geben Handlungsempfehlungen für Politik, Verbände, Vereine und Schulen.
Bewegung, Sport und Spiel sind essenziell für Kinder und Jugendliche. Für rund 90 Prozent von ihnen ist Sport das liebste Schulfach, und nahezu alle Kinder und Jugendliche sagen von sich, dass sie mindestens einmal in ihrem Leben über einen längeren Zeitraum hinweg regelmäßig Sport betrieben haben. Wie sehr der Sport für Kinder und Jugendliche jedoch im Wandel begriffen ist, zeigt der „Dritte Deutsche Kinder- und Jugendsportbericht“ mit seinem Schwerpunktthema „Kinder- und Jugendsport im Umbruch“, der von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung initiiert und in der Villa Hügel der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. In 25 Kapiteln untersuchen darin Sportwissenschaftler, Pädagogen, Sportmediziner und Sportsoziologen die Ursachen und Auswirkungen der aktuell zu beobachteten Umbruchsituation im Kinder- und Jugendsport und geben Handlungsempfehlungen für Politik, Verbände, Vereine und Schulen.
Rund 120 Vertreter aus Wissenschaft, Sport, Verbänden und Politik waren der Einladung zur Präsentation des Berichts gefolgt. Ursula Gather, Kuratoriumsvorsitzende der Krupp-Stiftung, überreichte die ersten druckfrischen Exemplare des 640 Seiten starken Buches an Bundesinnenminister Thomas de Maizière, DOSB-Präsident Alfons Hörmann, sowie die beiden Herausgeber Werner Schmidt (Universität Duisburg-Essen) und Thomas Rauschenbach (Deutsches Jugendinstitut).
Wandel in den Sportaktivitäten
Alfons Hörmann dankte den Autoren und der Krupp-Stiftung für die Erarbeitung des Berichts. „Der Bericht stellt aus unserer Sicht anschaulich dar, wie umfangreich die Potenziale und Leistungen des Kinder- und Jugendsports sind. Der vorangestellte Titel `Kinder- und Jugendsport im Umbruch´ könnte nicht zeitgemäßer gewählt sein“, so Hörmann. Er beschreibe maßgeblich den umfangreichen Wandel in den Sportaktivitäten von Kindern und Jugendlichen. „Aus der Perspektive und den Erfahrungen der Sportorganisationen können wir die getroffenen Analysen zum Großteil bestätigen. Darüber hinaus werden Fragen und Anregungen aufgeworfen, die bei der Weiterentwicklung unserer Aktivitäten helfen. Dazu zählen vor allen Dingen die Auswirkungen der schulpolitischen Veränderungen, Stichwort Ganztag und G8, die untersuchten Integrationspotenziale des Sports sowie die Aussagen zum Jugend-Leistungssport.“
Standardlektüre für Studierende der Sportwissenschaften
In ihren Begrüßungsworten verwies Ursula Gather auf den Erfolg, den die beiden ersten Deutschen Kinder und Jugendsportberichte in der Fachwelt erzielt hatten. Der erste Bericht gab 2003 eine Gesamtbetrachtung des aktuellen Forschungsstandes im Bereich Kinder- und Jugendsport; der zweite Bericht beschäftigte sich 2008 mit dem Schwerpunktthema Kindheit. Beide Berichte seien in der Fachwelt sehr positiv aufgenommen worden, so Ursula Gather. „Sie sind heute Standardlektüre für Studierende der Sportwissenschaften und verwandter Fachgebiete und werden bei Fachtagungen und Kongressen nach wie vor intensiv diskutiert“. Daher habe die Krupp-Stiftung erneut die Initiative ergriffen und den Anstoß zur Fortsetzung der Berichtsreihe gegeben.
Die Berichte sind gute Ratgeber für die Politik
Thomas de Maizière sagte: „Als Sportminister freue ich mich, dass ich heute bei der Vorstellung des ´Dritten Deutschen Kinder- und Jugendsportberichts` mitwirken kann. Bereits die beiden ersten Kinder- und Jugendsportberichte waren bedeutende Beiträge für die Entwicklung des Kinder- und Jugendsports und gute Ratgeber für die Arbeit der Bundesregierung. Es ist zu hoffen, dass auch der dritte Bericht in die sportwissenschaftliche und sportpolitische Diskussion zum Kinder- und Jugendsport einfließen wird.“ Das Bundesinnenministerium sehe sich mit seinem Förderprogramm „Sport und Integration“ und der Förderung der Bundesfinalveranstaltungen „Jugend trainiert für Olympia und Jugend trainiert für Paralympics“ besonders durch den Bericht angesprochen. „Die Umsetzungsmöglichkeiten der Handlungsempfehlungen werden wir sorgsam prüfen“, kündigte der Minister an. „Für unsere Kinder und Jugendlichen erhoffe ich, dass der Bericht durch den gemeinsamen Diskurs seiner Ergebnisse zu sinnvollen und für die Zukunft tragfähigen Verbesserungen führt. Von der Bedeutung der Förderung des Kinder- und Jugendsports überzeugt, werde ich mich hierfür gern einsetzen.“
Immer weniger altersentsprechende Bewegung bei Kindern
Werner Schmidt, der Leiter des Sportwissenschaftlichen Instituts an der Universität Duisburg-Essen, stellte den Bericht vor. Kernthemen sind u. a. die durchgreifenden Veränderungen im Erziehungs- und Bildungswesen und deren Auswirkungen auf den Sport. Die zunehmende Verbreitung der Ganztagsbetreuung und die Einführung der verkürzten Gymnasialzeit auf acht Schuljahre (Gymnasium G8) führen dazu, dass Heranwachsende immer mehr Zeit in Bildungseinrichtungen verbringen, sich dort aber immer weniger ihrem Alter entsprechend bewegen. Die veränderten, politisch gewollten Rahmenbedingungen im Erziehungs- und Bildungswesen machen es daher nötig, Spiel und Sport verstärkt in den Tagesabläufen institutioneller Einrichtungen zu verankern.
Intensivere Zusammenarbeit zwischen Schule und Verein
Hier übernehmen Vereine zunehmend die Aufgabe, Bewegungsangebote auch außerhalb des traditionellen Vereinsprogramms zu gestalten. Die althergebrachte Trennung „hie Vereinssport – hie Schulsport“ löst sich zusehends auf; Vereine und Schulen sind aufgefordert, ihre wechselseitigen Beziehungen neu zu strukturieren.
Der Bericht betrachtet die jüngsten Entwicklungen von „Sportszenen“ für Heranwachsende. Waren dies in der Vergangenheit vor allem die Schule und der Verein, so haben Jugendliche heute die Auswahl aus einer sich ständig erweiternden Vielfalt des Sportangebots durch neue Sportarten, kommerzielle Sporteinrichtungen, informelle Sportsettings oder den rasant wachsenden Bereich des Trendsports.
Dem Sport wird beim Thema Integration gemeinhin eine große Wirkung zugeschrieben. Die Autoren des „Dritten Deutschen Kinder- und Jugendportberichts“ weisen demgegenüber darauf hin, dass Sport nicht automatisch zu besserer Integration führt, auch wenn er ein geradezu ideales Medium dafür ist. Ohne zielgerichtete, pädagogisch fundierte Konzepte und speziell geschulte Übungsleiter, Trainer und Pädagogen kann Integration durch Sport nicht gelingen, so die Wissenschaftler.
Fundierte Konzepte und geschulte Übungsleiter gefordert
Der Grundstein für internationale Spitzenleistungen wird bereits in der Kindheit und Jugend gelegt. Der sehr hohe Trainingsumfang, verbunden mit wachsenden Anforderungen in der Schule und verlängerten Schulzeiten, wirft in den Augen vieler Sportmediziner und -pädagogen jedoch die Frage auf, ob diese chronische Überbelastung jugendlicher Leistungssportler überhaupt zu verantworten ist.
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist ein Thema, das in der Sportwelt häufig ignoriert wird, wie die Autoren des Dritten Deutschen Kinder- und Jugendsportberichts feststellen. Die Kooperationsbereitschaft und Auskunftsfreudigkeit der Verantwortlichen ist noch immer zu wenig ausgeprägt; das Problem wird tabuisiert. Die Wissenschaftler erwarten vom organisierten Sport, dass er sich des Themas intensiver als bisher annimmt und eine Kultur der Achtsamkeit im Sport fördert.
Handlungsempfehlungen für die Zukunft des Kinder- und Jugendsports
Der Bericht schließt mit Handlungsempfehlungen für die Zukunft des Kinder- und Jugendsports. Zu den wichtigsten gehören:
- Um die erforderliche Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Verein und Schule zu unterstützen, sollten Sportvereine und -verbände verstärkt dafür sorgen, dass erfolgreiche Kooperations¬modelle zwischen Vereinen und Schulen besser bekannt gemacht und zur Nachahmung empfohlen werden.
- Über die Verantwortbarkeit des Leistungssports im Jugendalter sollte neu diskutiert werden.
- Um der sexualisierten Gewalt im Sport zu begegnen, müssen alle, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, besser qualifiziert und für den achtsameren Umgang mit ihren Schützlingen sensibilisiert werden. Hier sind Vereine und Verbände in der Pflicht.
- Schulen, Sportvereine und Kommunen sollten intensiver zusam¬men¬arbeiten mit dem Ziel, ein breit gefächertes, niederschwelliges Sport- und Bewegungsangebot für Kinder und Jugendliche zu schaffen.
- Vertreter des Sports sollten als ständige Mitglieder in die Gremien für kommunale Bildungs- und Erziehungsplanung einbezogen werden, um die Bildungsleistungen des Sports angemessen einbringen zu können.
- Der organisierte Sport sollte gemeinsam mit der stadtteilbezogenen sozialen Arbeit wohnortnahe Bewegungsangebote insbesondere für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche erarbeiten, um der Verstetigung sozialer Ungleichheiten entgegenzuwirken.
Diese und zahlreiche weitere Kernaussagen des Berichts behandelte auch die von Fernsehjournalist Marcel Reif moderierte Gesprächsrunde unter dem Motto „Quo vadis? Kinder- und Jugendsport im Umbruch“. An deren Ende stand das Fazit: Der Umbruch im Kinder- und Jugendsport wird sich auch in den kommenden Jahren weiter fortsetzen. Dabei kann die von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung geförderte Forschungsarbeit der Wissenschaftler wichtige Hilfestellung leisten.
(Quelle: Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung)