Der LandesSportBund (LSB) Niedersachsen sieht sich in der Verantwortung, auch sexuellen Kindesmissbrauch in der Vergangenheit aufarbeiten und Verantwortung für die Vergangenheit in ihrer Institution zu übernehmen. Mit einer Arbeitstagung des Beirates im Projekt „Prävention sexualisierter Gewalt“ von LSB und seiner Sportjugend ist nun der Prozess der Etablierung strukturierter Aufarbeitungsstrukturen für den Sport in Niedersachsen gestartet.
Was ist Aufarbeitung?
Prof. Dr. Heiner Keupp, Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs der UBSKM, und der Kinderschutzbeauftragte im Thüringer Sport Steffen Sindulka haben den Mitgliedern sowie dem LSB-Vorstand Input u.a. zu diesen Fragen gegeben:
Wie lässt sich vergangenes Unrecht auch im organisierten Sport aufdecken und anerkennen? Wie werden Strukturen erkannt, die sexuellen Missbrauch begünstigen und Aufdeckung verhindern? Wie werden nachhaltige Konsequenzen für die Zukunft gezogen, um den Schutz von Kindern und Jugendlichen zu sichern? Wie kann das Recht von Betroffenen auf Aufarbeitung verwirklicht werden? Wie muss das unabhängige Aufarbeitungsteam zusammengesetzt sein? Welche Rechtsfragen müssen bedacht werden?
Kulturwandel notwendig
Dr. Keupp machte deutlich, dass Aufarbeitung nur möglich sei, wenn sich in einer Organisation ein ehrlicher Kulturwandel hin zu einer positiven Haltung für Aufarbeitungsprozesse etabliere. „Sie brauchen eine verbandliche Kultur, die Verantwortung übernimmt und vergangenes Leid sichtbar machen will“, sagte Dr. Keupp. Dies gelte auch für Menschen, die in der Vergangenheit keine Funktionen oder Ämter im Sport innegehabt hätten. Nach seiner Erfahrung ist eine nachhaltige – zukunftsorientierte – Präventionsarbeit, wie sie auch der LSB seit langem praktiziere, nur wirkungsvoll auf der Grundlage einer aufgearbeiteten Vergangenheit. „Prävention hat Aufarbeitung zur Voraussetzung.“
„Rechte und Pflichten: Aufarbeitungsprozesse in Institutionen
Sindulka schilderte seine Beratungsarbeit mit Sportvereinen bei der Aufarbeitung vergangener Fälle. Er hat die Unabhängige Aufarbeitungskommission im Fall des HSV Weimar in der Findung begleitet. Eine Arbeitsgrundlage war dabei die Broschüre „Rechte und Pflichten: Aufarbeitungsprozesse in Institutionen, Empfehlungen zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“ der Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Inzwischen haben die Deutsche Sportjugend und der Deutsche Olympische Sportbund für die Sportorganisationen die Broschüre „Safe Sport“ – Leitlinien zur Aufarbeitung sexualisierter Belästigung und Gewalt in Sportverbänden und Sportvereinen herausgegeben, die auf den Empfehlungen der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs sowie dem Good-Practice-Guide aus dem VOICE-Projekt basieren und auf die Strukturen des organisierten Sports angepasst worden sind.
Aufarbeitungsprozess im Sport
In dem Leitfaden „Safe Sport“ formulieren DOSB und DSJ:
„In den Aufarbeitungsprozessen sollen die Strukturen vor Ort, die sexualisierte Belästigung und Gewalt ermöglicht haben, und die Häufigkeit von Vorfällen genauso hinterfragt werden wie der Umgang mit Betroffenen, aber auch der Umgang mit beschuldigten Personen. dsj und DOSB sind sich bewusst, dass insbesondere bei (kleineren) Vereinen und Verbänden die zusätzliche Aufgabe für ehrenamtlich tätige Funktionsträger*innen in einem Aufarbeitungsprozess zu berücksichtigen ist. Daher setzen sie sich für den Ausbau von Hilfs- und Beratungsstrukturen, wie den Aufbau eines Zentrums für Safe Sport auf Bundesebene, und den Ausbau regionaler Fachberatungsstellen ein. (…) Die Aufarbeitung von zurückliegenden Fällen in den Sportverbänden und Sportvereinen ist für Betroffene sowie Beteiligte der Sportorganisationen von sehr hoher Relevanz und sollte unabhängig von einer strafrechtlichen Bewertung und unabhängig davon, wie weit der Fall in der Vergangenheit zurückliegt, erfolgen.“
Fragestellungen im Prozess
„Für die Strukturen des organisierten Sports bedeutet dies konkret, dass folgenden Fragestellungen in einem Aufarbeitungsprozess nachgegangen werden sollte:
• Welche Strukturen im Sportverband oder Sportverein haben sexualisierte Belästigung und
Gewalt ermöglicht bzw. die Aufdeckung erschwert?
• Wer hat im Sportverband oder Sportverein davon gewusst und die sexualisierte Belästigung und Gewalt bewusst oder unbewusst, nicht oder zu spät unterbunden?
• Was hat dazu beigetragen, dass die Verantwortungsträger*innen keine Kenntnis der Vorfälle erlangt haben?
• Wurde im Sportverband oder Sportverein das Geschehene vertuscht, verdrängt oder
verschwiegen und wenn ja durch wen und warum?
• Wie war die Haltung der Verantwortlichen im Sportverband oder Sportverein zum Zeitpunkt der sexualisierten Belästigung und Gewalt und in der Folge?
• Wie wird und wurde mit den Betroffenen in der Vergangenheit umgegangen?
• Wie wurde mit den Täter*innen in der Vergangenheit umgegangen?
• Welche Gründe führten trotz Wissen um die Tat(en) zu einer Nicht-Behandlung der
sexualisierten Belästigung und Gewalt?
• Welche Schlüsse können Sportverbände und -vereine aus dem Aufarbeitungsprozess ziehen?
• Wie können Betroffene eingebunden oder unterstützt werden?“
Kontakte
Links
Empfehlungen zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“ der Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs
DOSB/DSJ-Broschüre